A lo colombiano (deutsch)

A lo colombiano – ein paar Gedanken zu Kolumbien

 

Interessant eine andere Gesellschaft kennen zu lernen. Wollte ich schon immer mal. So richtig, oder zumindest profunder – ich denke es braucht doch viel Zeit um die Facetten einer Kultur – eines Landes oder auch nur schon einer Stadt – eines Viertels kennen zu lernen.


Als Nicole und ich vor vielen Jahren unsere “Weltreise” machten, war das Bedürfnis nach immer mehr Neuem zu entdecken sehr stark, es hatte uns zwei Jahre im ca. drei-Tages-Takt weitergetrieben. Wir entdeckten so 35 Länder in dieser Zeit. Man könnte sagen, dass man gar nichts richtig sieht wenn man so schnell vorwärts geht. Das fühlte sich aber damals gar nicht so an, im Gegenteil es fühlte sich genau richtig an. Sehr anstrengend, ich bin froh haben wir das damals so gemacht, ich könnte es jetzt nicht mehr. Immer die günstigste Übernachtungsmöglichkeit zu finden, mit 15 Kg auf dem Rücken nochmals eine halbe Stunde weiter zu suchen, um nochmals einen halben Dollar zu sparen. Oder auch beim Transport: Immer die günstigste Option zu wählen, das ist manchmal schon tough, da ist man dann schon froh, wenn öfters als nicht der “Touristen-Bonus” eine verbesserte Sitzgelegenheit verschafft. Es war Abenteuer pur gemischt mit einer gewaltigen Unwissenheit und einem Interesse an unserem Planeten und dessen verschiedene Völker und Kulturen. Diese sorglose Jugendlichkeit, mit welcher Selbstverständlichkeit wir unerschrocken die Welt entdeckten!


Auch wenn ich diesen Wissensdurst stillen konnte und nicht mehr zum Ziel habe in meinem Leben alle restlichen nicht besuchten Länder kennenzulernen, besteht eben doch immer noch die Kuriosität des “Anderen”. Wie anders ist das “Andere”? Ist die Schweiz das Paradies, oder ist das Paradies doch eher eine Insel in der Karibik? Was ist Lebensqualität? Wie hart ist das Leben für den Durchschnittsmenschen auf dieser Erde? Und daher – wie das Sprichwort von Unbekannt lautet: “To know and not to do is not to know yet” oder wie mein Vater beliebt zu sagen: “Ausser man tut es”.

 

Ich tue es, ich bin in Bogotá, ich lerne Spanisch, aber viel mehr als das eigentlich, ich lerne die Kultur kennen, die Mentalität der Menschen oder mindestens eines Teiles der Gesellschaft. Wie anders und wie gleich einige Sachen sind! Ich kann ja nur von Bogotá berichten, es heisst die “Rolos” (Leute von Bogotá) sind sehr diplomatisch, sehr diskret und sehr sensible im Umgang miteinander. Heisst es. Mehr als andere Regionen von Kolumbien. Dazu muss man aber auch beachten das bis zu 40% von ausserhalb zugewandert sind. Dies auf jeden Fall ist eine Gemeinsamkeit mit den Schweizern, diplomatisch zuvorkommend, aber dann doch reserviert und nicht einfach zu durchleuchten. In dem Sinne bin ich weder typisch schweizerisch so wenig wie Rolo, aber ich lerne es hier besser als je zuvor, das was ich zuvor nur in der Business Welt praktiziert habe: Der bedachte Umgang mit Mitmenschen.

 

Was wir bei uns als Bauernschläue bezeichnen, in Englisch vielleicht “street smart”, mit welcher in unseren Breitengraden einige Leute Intelligenz im Sinne von Kombinatorik kompensieren ist hier noch viel mehr verbreitet. Man könnte ev. auch das Wort Schlitzohr benutzten, welches sowohl positiv wie auch negativ ausgelegt werden kann. Eine zum Überleben sehr wertvolle Eigenschaft. Das Überleben ist in der Schweiz bedeutend leichter als hier, wohl deshalb geht bei uns diese Fähigkeit auch etwas verloren. Krankenkasse z.B. ist nicht obligatorisch. Hausratversicherung haben die Wenigstens. Wenn also das ganze Hab und Gut gestohlen wird, dann ist es weg und Niemand ersetzt es einem, wie grad eben passiert bei Laura und vor allem ihrer Mitbewohnerin Uli. Wir waren zu der Zeit im Schlafzimmer, daher hatte Laura mehr Glück. Man könnte natürlich auch sagen wir hatten mehr Glück, dass uns nichts passiert ist, hier wird normalerweise nur bewaffnet eingebrochen. Pensionskasse ist übrigens obligatorisch, natürlich kostet die noch viel weniger als bei uns, aber natürlich auch nur für die die ein Einkommen haben. All die armen Leute auf der Strasse: Ich weiss nicht wie die überleben im Alter, wahrscheinlich eben einfach nicht.

 

Eine weitere Fähigkeit die bei uns bereits ausgestorben zu sein scheint: Die Wahrnehmung des Umfelds ist hier ebenfalls sehr wichtig. Es gibt sehr viele Diebe, dementsprechend gewinnt wer auf der Hut ist! Während bei uns Leute ins Handy vertieft durch die Stadt schlendern und Gefahr laufen in einen Pfosten zu laufen oder in ein Loch zu fallen, hat man hier eher einen 360 Grad Blick. Dies erzeugt ein ganz anderes Bewusstsein, eine Energie die ich phasenweise als extrem intensiv erlebe. Man lernt schnell vorsichtig zu sein und nicht leichtsinnig Jemandem zu vertrauen, extremes Neuland für mich! Nur mal eine Putzfrau zu finden die einem nicht beklaut ist gar nicht so einfach. Man muss es ja schliesslich von denen nehmen, die es haben. Und wenn man versteht das Leute hier auf dem Land teilweise für 2000 Peso pro Tag (CHF 0.65) arbeiten oder als Kellner für 5000 Peso pro Tag (CHF 1.65), dann versteht man auch plötzlich viel besser wieso z.B. meine Putzfrau einen Weg vom Süden der Stadt von drei Stunden auf sich nimmt (hin und zurück) um den ganzen Tag (6-7 Stunden) für 55’000 Peso (CHF 18.30) die Wohnung zu reinigen. Das sind 11 Arbeitstage einer Kellnerin, so wie z.B. Ines, meine jetzige Putzfrau meines Vertrauens, vorher verdient hat.

 

Dieses Land hatte bis vor Kurzem nicht viele Touristen, seit ca. zehn Jahre Jahren ist diese Zahl stark steigend. Die Leute sind vermutlich deshalb auch immer noch sehr neugierig und ausländerfreundlich. Dies obwohl ein Grossteil aus den USA kommen. Ich wollte nie  verallgemeinern, aber diesem Volk ist wirklich nicht zu helfen. Lernresistent ist wohl das beste Adjektiv um dieses ignorante Pack zu generalisieren. Facebook Expat groups sprechen eine unmissverständliche Sprache; Viele Gringos sprechen schlecht über das Land und die Leute, finden diese sollten sich Ihnen anpassen statt umgekehrt. Verstehen nicht das sie Gäste sind, viele machen sich nicht mal die Mühe die Sprache zu lernen. Man kann im Fall von der USA wirklich verallgemeinern und vielleicht erwähnen das es Ausnahmen gibt. Ich weiss nicht was in nur 300 Jahren (etwa zehn Generationen) derart falsch laufen kann. Aber ich denke der aktuelle Präsident vertritt dieses Volk würdig, ein neuzeitlicher Cowboy. Es sollte uns zum Nachdenken bringen ob unsere Definition von Intelligenz wirklich Sinn macht. Das sind teilweise gut studierte Leute die dumme Sachen sagen und denken, so wie etwa die Nazis zu ihrer Zeit. Die waren nicht alle dumm, aber sie machten auch keinen Sinn. Ok, genug Ami-bashing, sie bleiben ja gerne unter sich, man kann sie deshalb eigentlich auch einfach vermeiden.

 

Was bedeutet das für das kollektive Bewusstsein 50 Jahre Angst zu haben? Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen, nach einem Leben dass hauptsächlich in Bergdietikon stattgefunden hat, mit einem Haus, wo die Hälfte aus Glas besteht, keine Gitter, keine Mauern, kein Stacheldraht, kein elektrischer Zaun, keine Securitys. Wo man ins Handy vertieft zum Volg schlendern kann und die einzige Gefahr ist, durch das ‘nicht achten’ von einem Auto überfahren zu werden. Daher kann ich nur beobachten und beschreiben. Es bedeutet z.B. dass man sehr gut überlegt wer man ins Haus einlädt oder auch zu wem man nach Hause geht. Das man auch den Nachbarn im gleichen Gebäude nicht vertraut, weil bei einem Einbruch es oftmals ein Nachbar war. In unserem aktuellen Fall vermutlich der Sohn des Hauseigentümers, der am gleichen Tag einige Sachen in der Wohnung repariert hat. Man vertraut hauptsächlich der Familie (und all denen, die man dazu zählt. Ganz wie in den Zeiten, wo alles noch in Sippen organisiert war, wie ich es in Papua Neuguinea kennen gelernt habe). Ein Leben mit der Angst –  eine Selbstverständlichkeit in jeder nicht hochentwickelten Gesellschaft! Es ist eine subtile Angst, die mehr im Hintergrund mitschwingt aber sie ist immer präsent. In vielen Formen wohl auf unserem Erdball zu finden, oftmals in noch viel krasseren Ausprägungen anzutreffen. Das ist definitiv eine Anti-Lebensqualität.

 

Dies führt im Umgang miteinander oder untereinander zu grosser Vorsicht und viel Anstand (im Normalfall). So höflich sind die Leute im Normalfall miteinander, da können nicht mal die Schweizer mithalten. Es sind vieles nur Floskeln, die man selbst gar nicht mehr wahrnimmt, aber aus einem Grund heraus sind sie entstanden. Vieles auch Herzlichkeit. Sehr schwierig alles zu sezieren und richtig zu deuten nach so kurzer Zeit und dann noch mit meinem bescheidenen Spanisch. Ich habe auch hier und jetzt erst verstanden, dass eine Bildung und genügend Geld zum Leben eben schon den Unterschied macht. Es gibt hier sehr viele Leute die keine Umgangsformen haben, oftmals durch fehlende Bildung. Somit Bildung als “just another brick in the wall” zu bezeichnen funktioniert leider nicht. Respektive funktioniert nur, wenn man diese bereits genossen hat und aus dieser Position urteilt.
Den ‘Machoismus’ verstehe ich erst langsam so wie Kolumbianer den verstehen: Es ist keinen respekt vor Frauen zu haben. Heisst Frauen anzuschreien im Geschäftsleben z.B., wenn kein anderer Mann dabei ist, was sie gegenüber anderen Männern nie machen würden. Oder Polizisten die Frauen schlagen, wenn diese nicht von anderen Männern geschützt sind, solche unschönen Sachen. Das man auch eine Freundin neben seiner Frau hat, ist wie es scheint auch ziemlich akzeptiert, wohl auch von vielen Frauen. Es ist ein Land im Wandel und es scheint absehbar, dass die neue Generation schon sehr anders tickt, dass es die Frauen nicht mehr einfach akzeptieren diese Ungleichheiten. Es ist zu hoffen, dass auch dieses pseudo Religiosität, welche oft mit homophoben Neigungen einhergeht in der näheren Zukunft sich immer weiter verliert.

 

Wie lange braucht es bis das “Andere” gar nicht mehr so anders ist, ganz vertraut? Recht schnell geht das. Wichtig ist dafür aber natürlich die Sprachbarriere zu brechen. Ebenfalls zu akzeptieren, dass man immer der Ausländer bleibt. Die Wahl liegt in meinem Fall wohl nur zwischen akzeptierten oder nicht akzeptierten Ausländer. Und zu verstehen was die grossen Unterschiede sind, wie problematisch z.B. Korruption für den Fortschritt eines Landes ist, verstehe ich auch erst langsam. Das ist das erste Mal im Leben wo mich Politik zu interessieren beginnt! Es sind bald Wahlen, und ein guter Präsident scheint im jetzigen Moment wirklich einen grossen Unterschied machen zu können. Wie es aber scheint hat keiner der Kandidaten das Vertrauen des Volkes. Antanas Mockus, zweifacher Stadtpräsident von Bogotá würde wohl fast kampflos gewinnen, aber ist leider nicht zur Wahl aufgestellt da er unter Parkinson leidet. Wie es scheint hätte er das Vertrauen aus allen Lagern der Wähler. Man kann also mehr oder weniger nur zwischen mehr und weniger Korruption wählen, nach meinem aktuellen Verständnis.

 

Kolumbien ist rough on the edges, herzlich – lebendig – lebensfroh leider aber viel zu viele Diebe, viel zu viel Korruption und eine grosse Armut. Ein Vergleich zur Schweiz liegt nahe: Es ist wie das Fahrerlebnis eines alten Autos gegenüber einem neuen – z.B. ein VW Käfer gegenüber einem VW Golf. Neuere Autos sind ‘weichgespült’, die Bremsen funktionieren perfekt, die Lenkung geht leicht von der Hand, die Kupplung (wenn überhaupt noch vorhanden) ist butterweich. Und die Elektronik regelt den Rest: Zu viel Gas wird automatisch zurück geregelt, ein Rad verliert die Haftung: der Antrieb wird auf die anderen Räder verteilt. Das Fahrwerk ebnet Unregelmässigkeiten in der Fahrbahn aus. Komfort und Luxus kosten Fahrfreude und Authentizität des Fahrerlebnisses. Bald fahren die Autos selber und unsere Nachkommen werden ungläubig fragen: Und ihr habt die Autos wirklich noch selber gelenkt, war das nicht sehr gefährlich? Wo ist der gesunde Mittelweg und wie kann man die Evolution in diesem Zeitpunkt stoppen? Das ist wohl ein Stück weit jedem selber überlassen, ob er zum Beispiel die Teller von Hand spülen will oder eben auch die Kleider von Hand waschen. Also ich kenne nur Mark, der auch noch Feuer selber machen möchte. Mit Grund, diese Abhängigkeiten machen uns sehr verletzlich. Und wo führt das hin wenn bald ein Grossteil der Menschheit nicht mehr arbeiten muss? Herrschen bald Wally-artige (der Film) Verhältnisse? Und damit einmal mehr die Frage: Was ist Lebensqualität? Oder was ist Leben? Hat man mehr gelebt wenn man erst mit 90ig stirbt? In Tagen ja, in Qualität wohl nicht unbedingt. Wie quantifiziert man Lebensqualität? Ich möchte dann schon gerne mal wieder bei Nachts spazieren gehen ohne auch nur einmal über die Schulter zu schauen. Und das andere Extrem ist dann wohl, wenn man auch mal Party zu Hause machen kann, ohne dass die Nachbarn gleich eine vier Meter hohe Schallschutzmauer errichten möchten, und sie dafür auch mal Party machen können und ich deren Lärm schmerzlos toleriere.

 

Prozesse in der Schweiz sind abgerundet und effizient. Das ist natürlich schon sehr angenehm. Hier ist das nicht so, ein paar Beispiele:
Als Laura die Handtasche mit allen Karten gestohlen wurde, konnte die Kredit- und Debitkarte zwar gesperrt werden und eine neue ID beantragt werden (dies sogar online! Nur abholen muss man dann eben doch wieder selber). Um aber Missbrauch der ID zu verhindern muss man persönlich zu den zwei grössten Kreditgesellschaften vorbeigehen, dort eine Stunde in Schlange stehen um dies zu melden. Man verliert dabei jeweils einen halben Tag. Dies muss alle drei Monate wiederholt werden, solange man befürchtet das mit der ID Unfug betrieben werden könnte.
Jeder Arztbesuch ist ähnlich abenteuerlich und kostet jeweils locker einen halben bis ganzen Tag,  welchen man hauptsächlich mit Warten verbringt: Man kriegt eine Nummer und wartet. Man kann sein Problem bei der Rezeption beschreiben. Man wird in einen anderen Stock weitergereicht. Man kriegt eine Nummer. Man wartet. Der Allgemeinarzt stellt eine Diagnose und man bekommt ein Datum für einen anderen Termin. Am nächsten Termin, an einem anderen Ort in dieser riesigen Stadt: Man bekommt eine Nummer und wartet auf den Spezialisten. Er erstellt eine Diagnose und verschreibt Medikamente. Man wird in einen anderen Stock geschickt. Man bekommt eine Nummer und wartet. Die Medikamente werden einem mit einem offiziellen Rezept verschrieben. Mit diesem Rezept muss man wieder in das ursprüngliche Gebäude ‘reisen’. Dort kriegt man eine Nummer. Man wartet. Das Rezept wird mit Stempel authentifiziert. Man wird in eine andere Abteilung geschickt. Man kriegt eine Nummer und wartet. Und schlussendlich kriegt man die Medikamente für einen Monat. In einem Monat kann das Spiel dann wiederholt werden.
Rechnungen bezahlen: Ich habe endlich mal einen Ort gefunden, wo ich Gas, Strom, Wasser und Internet am gleichen Schalter bezahlen kann. Aber Achtung: Das Bezahlen-bis-Datum ist meistens zwei bis drei Tage nachdem die Rechnung kommt. Nach diesem Datum muss dann wiederum ein anderer Ort gefunden werden, wo die Rechnung akzeptiert wird zum Bezahlen. Online wäre theoretisch nun auch möglich, leider sind die Online Dienste nur zeitweise bis selten verfügbar, alles Administrative kostet somit sehr viel Zeit.

 

Das interessanteste Projekt, welches ich bisher besucht habe war im Zentrum von Bogotá, in der “zona de tolerancia”: Im Viertel Santa Fé, dort wird Prostitution geduldet. Dort sollte man definitiv vorsichtig sein. Sehr viele Obdachlose, sehr viel Armut. Die Prostituierten sind in Blocks aufgeteilt, die Jungen, die voluminösen, Transen, Negritas etc. Auch für die Leute mit Geld hat es Clubs wie z.B. das Piscina. Dort sieht man dann die Politiker etc. absteigen. Ich bekam eine Führung, es hiess dann z.B. hier ist die gefährlichste Strasse, diesen Club kann man nur mit Bewilligung betreten. Scharfschützen sind dort positioniert um die Investitionen der Besitzer zu beschützen, illegal aber offensichtlich geduldet. In diesen Ollas (Töpfen) kriegt man dann die Frauen und auf Wunsch auch alle möglichen Drogen. Dieses Projekt widmet sich den Kindern der Prostituierten, die Idee ist andere Realitäten aufzuzeigen. Die Kinder können dort ausserhalb der Schulzeit gemeinsam Fussball spielen und auch andere Aktivitäten werden offeriert: Computerkurse etc. Auch für die Mütter bestehen Programme wie z.B. ein Körperbewusstsein aufzubauen, dass nicht nur mit Sex verknüpft ist. Viele der Prostituierten haben seit ihrer Teenagerzeit nichts anderes kennengelernt. Viele leben mit ihren Kindern und teilen sie sich die Miete mit einer anderen Prostituierten und deren Kindern in einem Apartment von oftmals nicht mehr als 10 Quadratmetern. Bezahlt wird in diesen Kreisen normalerweise alles auf täglicher Basis. Sex kostet übrigens ab 10’000 Peso, also CHF 3.30. Die Chefin war ganz nett und sagte ich kann gerne helfen mit Englisch, mit Computerkursen. Ich fügte hinzu Meditation und Kochen und es klang alles sehr vielversprechend. Als ich dann schrieb ich würde nun gerne anfangen, hat sie nicht mal mein Whatsapp geöffnet und auch nie zurückgeschrieben. Ihre Mitarbeiterin war plötzlich auch komisch. Tja hatte wohl nicht sein sollen. Da kommen dann eben diese Kulturdifferenzen zum Vorschein. Die beste Erklärung war von jemandem der erklärte, dass diese Leute in den Fundationen sich oft für sehr wichtig halten, ‘zu beschäftigt’ sind um überhaupt zu antworten. So ein ähnliches Phänomen hatte ich nun bereits bei der Chefin einer Immobilienverwaltung und der Chefin eines Notariats kennenlernen dürfen:  Arrogant und von oben herab, sie sind ja schliesslich jemand.

 

Nach bald einem Jahr hab ich nun doch noch ein paar leckere lokale Speisen entdeckt. Grundsätzlich essen die Kolumbianer ohne viele Saucen, wie z.B. beim Mexikanischen Essen üblich. Arepas (aus Mais- oder Weizenmehl ähnlich den mexikanischen Tortillas) gibt’s in vielen Formen, oft aber trocken als Beilage mit Reis und Kartoffeln, schmeckt dann wie ein rundes Stück Karton. Es gibt sie aber auch gefüllt zum Frühstück mit Eier/Schinken/Käse. Es ist regional sehr unterschiedlich, in Barranquilla zum Beispiel befüllt man die Scheibe mit fünf Zentimeter Ware und Saucen, dann natürlich sehr lecker. Zum Frühstück wird nicht viel gegessen: Ein Ei in etwa vier Varianten mit einem Brötchen und einer Bouillon Suppe mit Kartoffeln, Koriander und einem Knochen mit etwas Fleisch dran. Dazu ein Kaffee oder genauer gesagt Milch mit ein bisschen Kaffee, alternativ bestellt man einen Tinto, dann kommt er in schwarz. Auch beliebt und mega lecker zum Frühstück: Changua, eine Suppe mit Ei, Milch und Cilantro und wenn gewünscht ebenfalls Brot (per Definition altes Brot). Meine Lieblingssuppe, hauptsächlich zum Mittagessen: Ajiaco, Mit Kartoffeln, Gemüse, und geschreddertem Huhn, dazu ein wenig Rahm und Kapern, mega lecker und gesund! Patacones sind frittierte, flach gepresste Platanos, also Kochbananen, die in Kolumbien oft als Beilage gegessen werden. Im Allgemeinen isst man hier die grosse Mahlzeit zum Mittagessen, welches sich zwischen zwölf und drei Uhr bewegen kann. Definitiv das Highlight sind die Fruchtsäfte: Egal wie basic oder edel ein Restaurant ist, es besteht immer die Wahl von etwa fünf Fruchtsäften mit Milch oder Wasser, die frisch zubereitet werden und fast nichts kosten. Ebenfalls bis etwa elf Uhr morgens sind an fast allen Strassenecken OrangensaftpresserInnen anzutreffen, der grösste Becher für einen Franken. Das üblichste Getränk zum Essen ist eine Limonade, wie sie vom Erfinder gedacht war: Wasser und Limonade, am Besten ohne Zucker. Oder auch mit Kokossaft, super lecker und gesund! Wir wohnen hier in der Zona G (G für gastronomia) und es hat somit alle Meter Restaurants, etwa 10 Italiener im Umkreis von 200 Metern, man ist somit nicht sehr darauf  angewiesen lokal zu essen. Natürlich eine Frage des Budget. Kolumbianisch isst man gut für 3-4 CHF. Die fancy Restaurants schon mehr im Bereich von 10 CHF und aufwärts.

 

Ich habe es geschafft, ich bin fast durch mit den Regeln im Spanisch! Ist fast alles Konjugation von Verben und die Zeitformen richtig anzuwenden. Heisst leider nicht, dass ich schon super spreche: Die Regeln zu kennen und alles richtig anwenden sind zwei paar Schuhe und ebenfalls fehlt mir immer noch viel Wortschatz und viele der lokalen gebräuchlichen Eigenheiten. Aber nach einem Jahr bin ich nun irgendwo zwischen Level B1 und B2 und habe viele Regeln im Kopf wo sich noch in Automatismen wandeln müssen. Das Hirn braucht offensichtlich Zeit zum alles einordnen und abzulegen. Nun ja, ich brauche wohl noch bis Ende Jahr bis ich ein gutes Level erreicht habe. Aber ich spreche – wenn auch noch nicht ganz zufriedenstellend. Ein langer Prozess so eine Sprache lernen, aber mit Spanisch schaltet man sich gleich 20-something Länder frei wo anschliessend die Sprachbarriere schon mal überwunden ist!

 

Zum sehen ob und wie anders sich Zentralamerikanische Länder nach einem Jahr Bogotá anfühlen haben wir einen Kurztrip nach El Salvador und Nicaragua gemacht (und auch zum etwas Sonne tanken). Ja: Alles anders! Das Essen in El Salvador ist super lecker! Die Nähe zu Mexiko ist zu spüren, viel mehr Saucen und Tacos, Burritos, Quesadillas etc. Die lokale Spezialität sind Pupusas, eine Mischung aus Tortillas und Naan Brot, dazu geschredderter Kohl und scharfe Sauce (mhhh – generell essen sie hier scharf!!!). Offensichtlich eine gefährliche Kombination, viele Leute sind hier brutalst übergewichtig.

 

Alles anders, auch die Sprache, die ja eigentlich die gleiche ist wie in Kolumbien, aber man wird hier gar nicht gut verstanden. Einerseits fühlt man sich hier wie in einer Sprachschule, alle sprechen so langsam als möchten sie sicherstellen, dass man sie auch sicher versteht. Wie bitte fragen die Salvadoreños mit ‚Hola?‘ wenn sie etwas nicht verstehen, was auch sehr irritierend ist, zumindest die ersten zehn Mal! Für ‘bitte’ oder ‘gerngeschehen’ oder ok bedienen sich viele dem Laut ‚Bäh!‘. Mentalität führt zu sehr unterschiedlicher Anwendung der Sprache, man sieht wieder einmal mehr, dass nicht die Worte alleine zählen: Die Leute erwarten eine gewisse Syntax und die funktioniert hier ganz anders als in Kolumbien. Beispiel Kolumbien: “Guten Tag, entschuldigen Sie bitte, ich würde sie gerne etwas fragen: Wüssten Sie vielleicht wo der Busbahnhof ist?” Beispiel Nicaragua: “Busbahnhof?” Es war ein Bisschen besänftigend zu sehen, dass auch Laura zeitweilig nicht gut verstanden wurde.

 

El Salvador hat viele Probleme, sehr ‚heiss‘ ist die Hauptstadt San Salvador. Diverse Banden treiben hier ihr Unwesen, hauptsächlich gegenüber sich selber und Schutzgelderpressung gegen Firmen. Dies führt dazu, dass einige Firmen an drei Banden Geld abdrücken müssen, wenn sie ihre Firma nicht schliessen wollen oder ermordet wollen werden. Das Problem hier wiederum ist Korruption, die Regierung hat kein Wirkliches Interesse das Problem zu lösen, jeder Politiker profitiert etwas. Anscheinend wird jetzt schon etwas aufgeräumt, verschiedene Leute erzählen verschiedene Sachen. Es sind andere Probleme als in Kolumbien, sie teilen sich nur Korruption als Werkzeug. Sehr schwierig diese Situation zu verbessern, fundamental scheint hierfür mehr und bessere Bildung der Leute. Es fühlt sich aber anders an, die Gefahr hier als in Kolumbien. Wir hatten Glück im Unglück. Unser Bus rammte ein Auto in San Salvador, im Industrieviertel Soyapango und wir waren somit gezwungen eine andere Transportmöglichkeit zu finden, natürlich mit Sack und Pack. Ein Typ stieg vor uns aus und meinte nur: ‘Sehr gefährlich hier’ und verschwand schnell. Wir fanden zum Glück schneller einen Ersatzbus als das Jemand auf dumme Ideen kam uns mindestens auszurauben. Ein ähnliches Erlebnis hatten wir auch in Managua: Wir nahmen den Bus zum Zentrum, der konnte aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr weiterfahren, da alles verstopft war vom Mercado Oriente, ein Markt wo wie wir später erfahren haben, dass auch die Locals schiss haben. Wir sahen dann auch einige Gesichter von Leuten die nicht sehr – sagen wir mal ‘vertrauenswürdig’ aussahen, ‘Nieros’ heisst dieser Schlag Menschen hier in Bogotá. Erneut bewegten wir uns wohl zu schnell weg von der Szene, als das jemand so geistesgegenwärtig war uns auszurauben. Immer schön neben den touristischen Sehenswürdigkeiten auch ein Bisschen mit den Probleme oder Realitäten eines Orte konfrontiert zu werden, vorallem wenn man glimpflich davon kommt. Grad erst kürzlich schauten wir den Film ‘la vendedora de rosas’, auch online auf Youtube zu finden. Wow: mich hat schon lange kein Film mehr so berührt! Zu verstehen dass hier wirklich viele Leute so ein Leben führen, wie diese ‘Halb-Strassen-Kinder’ fährt schon ein. Privilegiert zu sein ist eine Sache, es aber richtig zu verstehen eine andere. Allgemein sind hier in Kolumbien die Filme selten lustig. Trocken und ohne viel Drama, aber sie fahren bis ins Knochenmark, andere Empfehlung wäre ‘los colores de la montaña’, ebenfalls zu finden auf Youtube.

 

Zurück in Bogotá brauch ich schon wieder etwas Akklimatisierungszeit. Es ist kalt und oft auch nass! Dafür hat es keine Mücken, man weiss wie sich zu verhalten und wo nicht hinzugehen. Ich fühle mich hier sicher und auch ein Bisschen zu Hause, ich verstehe ein Bisschen die Mentalität und sie gefällt mir sehr gut, Umgangsformen und Floskeln: Ja doch bitte – es generiert für mich ein Gefühl von Harmonie.